Stolpersteine im Stadtgebiet
Der Kölner Künstler Gunter Demnig verlegte seit 1992 ca. 60.000 Stolpersteine in über 1100 Orten Deutschlands und Europas. Stolpersteine sind kleine Gedenktafeln für Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft.
Im Jahr 2010 verlegte er zwei dieser kleinen Erinnerungssteine in der Hauptstraße 3 in Markkleeberg. Hier hatten Olla und Ludwig Bamberger ihren letzten freien Wohnort.
Die AG „Spurensuche” des Rudolf-Hildebrand-Gymnasiums unter Leitung von Herrn Dr. Müller beschäftigt sich intensiv mit dem Schicksal von Markkleeberger Opfern des NS-Systems. Mehr als 30 Schülerinnen und Schüler suchten nach betroffenen Bürgern unserer Stadt, recherchierten in Archiven einzelne Schicksale, kontaktierten Überlebende und sprachen mit Zeitzeugen. Vor dem Hintergrund dieser Recherchen verlegte Gunter Demnig am 5. September 2017 Stolpersteine, um an das Schicksal folgender ehemaliger jüdischer Einwohner Markkleebergs zu erinnern:
- Friedrich Berliner, Gertrud Berliner, Lucie Berliner, Rosa Berliner (in der Rathausstraße gegenüber der Rathausgalerie)
- Alexander Eisenberg (im Wolfswinkel 14) und
- Chane Suhl (Hauptstraße 68).
Eine solche Gedenktafel erhielt an dem Tag auch Helene Knothe in der Pater Kolbe-Straße. Sie wurde Opfer der NS-Justiz.
Seit dem 16. Mai 2022 erinnern zwei neue Stolpersteine in der Parkstraße 2 – am Rande des agra-Parks – an das Schicksal von Getrud und Gustav Brecher, die unter dieser Adresse von 1928 bis 1933 lebten.
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Stolpersteine für Olla und Ludwig Bamberger in der Hauptstraße 3
Seit 2010 erinnern zwei Stolpersteine an das Schicksal von Olla und Ludwig Bamberger, die einst ihren Wohnsitz in der (heutigen) Hauptstraße 3 hatte.
Zur Biographie:
Das Herrenkonfektionshaus des Familienunternehmens Bamberger & Hertz eröffnete am 18.10.1911 in Leipzig am Augustusplatz und gehörte bald zu den führenden Konfektionshäusern Deutschlands.
Mit dem Boykott jüdischer Geschäfte ab 1933 hatte das Kaufhaus mit schwindenden Einnahmen und Lieferbeschränkungen zu kämpfen. Dennoch konnte sich das Unternehmen bis 1938 gegen die Enteignungsverordnungen der Natonalsozialisten wehren.
In der so genannten Reichsprogromnacht vom 9. zum 10. November 1938, in der unter anderem die große Gemeindesynagoge in der Leipziger Gottschedstraße zerstört wurde, fiel auch das Kaufhaus Bamberger & Hertz dem von Brandstiftern gelegten Feuer zum Opfer. Hinzu kam, dass die Besitzer beschuldigt wurden, ihr Kaufhaus selbst entzündet zu haben.
Am 8. Dezember wurde die Firma Bamberger & Hertz in Abwesenheit der verhafteten Besitzer aufgelöst und die AG Königsbau liquidiert, d. h. in das Vermögen nichtjüdischer Eigentümer überführt. Gustav Bamberger kam bald darauf in ein Konzentrationslager, konnte nach seiner Freilassung zunächst in Berlin untertauchen und wurde schließlich am 5. September 1942 nach Riga deportiert, wo er drei Tage später, am 8. September, im Alter von 62 Jahren ermordet wurde.
Ludwig und dessen Frau Olla Bamberger lebten zunächst in einem der eingerichteten Judenhäuser im Leipziger Waldstraßenviertel in der Jakobstraße. Von dort wurden sie nach Abschluss eines sogenannten „Heimeinkaufsvertrages“, mit dem die Familie Bamberger wie Tausende andere Opfer ihren Transport und die Unterkunft in Theresienstadt selbst finanzieren mussten, am 19. September 1942 nach Theresienstadt deportiert. Ludwig starb dort mit 60 Jahren am 8. Dezember 1942, seine Frau kommt noch kurz vor der Befreiung am 20. April 1944, sechs Tage nach ihrem 49. Geburtstag, zu Tode.
Die Kinder der Familie Bamberger konnten gerettet werden. Henry absolvierte zu jener Zeit eine Lehre in der Schweiz, seine Schwester Steffi gelangte bereits 1939, 11-jährig, mit einem Kindertransport nach England. Sie lebt heute in Kfar Blum in Israel; Henry Bamberger lebt in Los Angeles.
Text: Johannes Hohaus, © Kulturbahnhof e.V., Markkleeberg
13. Januar 2017 -
Stolpersteine für die Familie Berliner in der Rathausstraße
Die Familie Berliner
Am 23. August 1908 heirateten der in Breslau geborene Max Meyer Berliner (geb. 26.11.1872) und die aus Ungarn stammende Rosa Stern (geb. 07.12.1881). Die Hochzeit fand in Wien statt, wo am 07. Februar 1910 die erste Tochter Lucie geboren wurde. Die zweite Tochter, Gertrud, kam am 03. Februar 1914 in Gautzsch im Ring 45 zur Welt. Das heutige Markkleeberg war ein Vierteljahrhundert der Lebensmittelpunkt der Familie Berliner. Hier wurde auch Friedrich Berliner (19.01.1921) geboren.
1919 erwirbt Rosa Berliner ein dreigeschossiges Wohn- und Geschäftshaus in der damaligen Hauptstr. 34 (heute Rathausstr.). Nach dem Tod von Max Berliner (1923) und von Rosas Mutter (1925) zog die Familie in eine Wohnung in diesem Haus. Sie lebten von den Mieteinnahmen, dem Verkauf von Handarbeiten und den Einkommen der Mädchen.
1937 heiratete Gertrud Berliner den aus Polen stammenden Juden Piotr Luboszyz. Im Vorfeld des 9. November 1938 wurde, den nun staatenlosen Eheleuten, mehrfach nahegelegt, Deutschland zu verlassen. Ihnen gelang die Flucht nach Australien. Gertrud Lubo lebte bis zu ihrem Tod am 04. Juni 2017 in Sydney.Für die in Markkleeberg verbliebenen Familienmitglieder verschlechtern sich die Lebensumstände 1939 zusehends. Sie verkaufen ihr Haus, um mit dem Geld die Flucht/Ausreise nach Australien zu finanzieren. Da es ihnen nicht gelingt, Visa zu organisieren, fliehen Rosa, Lucie und Friedrich Berliner Mitte Dezember 1939 illegal nach Belgien. Dort geraten sie in die Wirren des Zweiten Weltkrieges. Rosa Berliner und Lucie, die in Belgien ihren Verlobten Isaack Jamschon geheiratet hatte, werden nach Frankreich abgeschoben und interniert. Ihnen gelingt allerdings die Rückkehr nach Brüssel. Dort lebt die Familie unter zunehmend schwierigeren Bedingungen bis Mitte 1942.
Friedrich Berliner, Lucie Berliner und Isaak Jamschon wurden mit dem Transport vom 11. August 1942 vom belgischen Mecheln nach Auschwitz deportiert. Lucie Berliner wird nach der Ankunft in Birkenau (13.08.1942) sofort ermordet. Friedrich Berliner erhält die Häftlingsnummer 58227. Er überlebt im Lager als Arbeiter einer Maurerbrigade drei Monate (11.10.1942). Laut Sterbeurkunde ist die Todesursache des 21-Jährigen „plötzlicher Herztod”. Sein 14 Jahre älterer Schwager Isaak Jamschon ist zu diesem Zeitpunkt schon einen Monat tot.
Die Deportation Rosa Berliners von Mecheln nach Auschwitz erfolgte am 26. September 1942. Dem Transport gehörten 1742 Menschen an. Sie erreichten Auschwitz am 28. September 1942. 1398 Deportierte wurden sofort ermordet – mit Sicherheit auch Rosa Berliner.
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Stolperstein für Chane Suhl in der Hauptstraße 68
Biografie von Chane Suhl
Chane Suhl, geboren am 12. Dezember 1889 in Bedzin (Russland) als Chane Chana Gena Lichtenfeld, heiratete am 28. August 1913 Abrahm Suhl (geb. 03. Dezember 1894) aus Ostgalizien. Aus dieser jüdischen Ehe gingen die drei Söhne Benzion Benjamin Suhl (geb. 1914), Jakob Suhl (geb. 1922) und Emanuel Suhl (geb. 1924) hervor. Seit 1923 lebte die Familie in der heutigen Hauptstraße 68 in Markkleeberg, damals Oetzsch.
1932 trennten sich Abraham Suhl und Chane Suhl voneinander. Ab 1933 wurde Dr. Abraham Suhl als jüdisches KPD Mitglied von der Gestapo verfolgt. Er floh zunächst nach Prag und konnte dann nach New York emigrieren (1936 in Arden Street ansässig). Seine beiden jüngeren Söhne folgten ihm zuerst, später erreichte auch der älteste Sohn Benzion Suhl New York. Chane Suhl folgte ihren Söhnen, vermutlich aufgrund von Devisenmangel, nicht nach Amerika. Sie lebte weiter in Markkleeberg.
1935 wurde die Ehe von Abraham und Chane Suhl in Riga geschieden. Am 12. April 1940 heiratet Chane Suhl Dr. med. Meier Kolp (geb. 1882 in Kaunas, Litauen), durch welchen sie die litauische Staatsangehörigkeit erhielt. Dr. Meier Kolp emigrierte nur fünf Tage nach der Eheschließung in die USA (New York) – ohne seine Ehefrau.
Chane Suhl hatte bereits am 18. April 1939 einen Auswanderungsantrag für die USA und für Litauen gestellt. Die Genehmigung der Auswanderung für Litauen erhielt sie nach der Eheschließung. Nachdem Chane Suhl, verheiratete Kolp, am 01. September 1939 aus der Adolf-Hitler-Straße 68 (Hauptstraße) nach Leipzig in die Yorkstraße 6, III, links (vermutlich ein sog. Judenhaus) gezogen war, emigrierte sie am 17. Juni 1940 nach Kaunas in Litauen.
Kaunas wurde am 24. Juni 1941 von der deutschen Wehrmacht eingenommen. Die Spuren von Chane Suhl verlieren sich in Litauen. Alle Juden aus Kaunas wurden am 15. August 1941 in ein Ghetto umgesiedelt. Chane Suhl soll 1941 von einem Wachkommando der Wehrmacht in Kaunas erschossen worden sein.
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Stolperstein für Alexander Eisenberg im Wolfswinkel 14
Alexander Eisenberg wurde am 28. November 1888 als Sohn jüdischer Eltern in Leipzig geboren. Der Vater Dr. Joseph Eisenberg war Hals-Nasen-Ohren-Arzt. Eine angeborene Schwerhörigkeit behinderte Alexander Eisenberg Zeit seines Lebens.
Mit seinen Eltern und fünf Geschwistern verlebte er seine Kindheit und Jugend in Leipzig. Hier studierte er von 1905 bis 1910 an der „Staatlichen Akademie für grafische Künste und Buchgewerbe”. Seinen Lebensunterhalt verdiente Eisenberg mit der Herstellung von Kinowerbung. Dafür gründete er mit seinem Schwager Paul Herrmann eine Firma für Diapositive.
1934 heiratete Alexander Eisenberg in Markkleeberg die nichtjüdische Bürgerin Katharina Brendel und lebte mit ihr „Am Wolfswinkel 14” in einer Doppelhaushälfte. Das Nachbarhaus bewohnten seine Schwester Lili, die mit Paul Herrmann, dem Geschäftspartner Eisenbergs, verheiratet war. Aufgrund der nationalsozialistischen Rassengesetze durfte Alexander Eisenberg seine Firma nicht weiterführen. Er überschrieb sie 1938 auf seinen Schwager Paul Herrmann, der nichtjüdischer Herkunft war. Eisenberg musste nun Zwangsarbeit als Gartenarbeiter leisten.
Ab 1941 lebte er mit seiner Frau in verschiedenen „Judenhäusern” in Leipzig, jedoch war er wegen seiner Ehe mit einer nichtjüdischen Bürgerin vor einer Deportation geschützt. Solche Ehen wurden zu NS-Zeiten „Mischehen” genannt. Ab 1944 durfte das Ehepaar Eisenberg wieder in Markkleeberg wohnen, im Haus von Lili und Paul Herrmann.
Im Januar 1945 erging der Befehl, dass alle noch bestehenden „Mischehen” aufgelöst und die jüdischen Partner deportiert werden sollten. Dieses Schicksal traf auch Alexander Eisenberg und seine Schwester. Im letzten Transport von Leipzig nach Theresienstadt wurden sie und weitere 167 Leipziger Juden am 14. Februar deportiert. Gleisschäden aufgrund des schweren Bombenangriffs auf Dresden am 13. und 14. Februar 1945 führten dazu, dass der Transport vier Tage bis Theresienstadt benötigte. Wegen seiner Taubheit konnte sich Alexander Eisenberg in dem dunklen Waggon mit niemandem verständigen. Er wurde in Theresienstadt in die Krankenstation eingewiesen, weil er laut ärztlicher Einschätzung an einem akuten Verwirrungszustand litt.
Am 25. Februar 1945 verstarb Alexander Eisenberg in Theresienstadt. Sein Grab befindet sich auf dem Friedhof der Gedenkstätte.
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Stolperstein für Helene Knothe in der Pater-Kolbe-Straße
Biografie von Helene Knothe:
Am Mittwoch, dem 20. Dezember 1944 um 14.30 Uhr, eröffnete der Vollstreckungsleiter der Verurteilten, dass „von dem Gnadenrecht kein Gebrauch gemacht” wird. Circa 90 Minuten später erfolgte die Hinrichtung durch „Enthauptung mit dem Fallbeil”. Die Hingerichtete ist Helene Knothe aus Markkleeberg.
Sie wurde als Helene Maria Margarethe Wendt am 01. September 1892 in Harmelsdorf, damals Kreis Deutsch Krone in der Provinz Grenzmark Posen-Westpreußen, heute Republik Polen, geboren. Sie ist die Tochter von Gustav und Appolonia Wendt. Bis zu ihrem dreizehnten Lebensjahr besuchte Helene Knothe die Mittelschule in Gnesen. Nach eigenen Angaben wurde sie im deutschnationalen Sinne erzogen. Von Beruf ist Helen Knothe Krankenschwester und nahm als solche am 1. Weltkrieg teil. Am 9. Februar 1920 heiratete Helene Wendt Erich Knothe. Aus der Ehe ging ein Sohn hervor. 1930 wurde die Ehe mit der Bedingung rechtskräftig geschieden, dass der geschiedene Ehemann bis zu seinem Lebensende für sie sorgen müsse.
Von 1938-1944 wohnte Helene Knothe in Markkleeberg in der Riquetstraße 23. Sie arbeitete im Auftrag verschiedener Krankenhäuser Leipzigs als Nachtkrankenschwester. Den Dienst verrichtete sie bei den Patienten zu Hause. Von einer ihrer Patientinnen wird sie im Juli 1944 denunziert. Unter anderem soll sich Helene Knothe negativ über Adolf Hitler geäußert und den bevorstehenden Umsturz angekündigt haben. Der Haftbefehl erging nach verschiedenen Verhören am 8. August 1944.
In der Haft in Leipzig werden politische Überprüfungen vorgenommen, Zeugen gehört und ein psychologisches Gutachten erstellt. Die Anklage lautet auf „Wehrkraftzersetzung” und „Feindbegünstigung”. Zwangsläufig findet der Prozess nun am berüchtigten Volksgerichtshof statt. Am 9. November erfolgte die Verlegung von Helene Knothe nach Berlin, wo es am 23. November 1944 zum Prozess kommt. Mit der Anklage „Wehrkraftzersetzung” ist das Todesurteil vorbestimmt. Alle Kosten des Verfahrens hat Helene Knothe zu tragen. Dazu bedienten sich die Ankläger ihres Sparbuches, das in der Riquetstr. sichergestellt wurde. Im Frauengefängnis in Berlin, Barnimstr. 10, hoffte Helene Knothe vergebens auf Begnadigung. Die Urteilsvollstreckung erfolgte am 20. Dezember 1944 um 16 Uhr in der Hinrichtungsstätte Berlin-Plötzensee. Helene Knothe ist ein Opfer der nationalsozialistischen Unrechtsjustiz.
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Stolpersteine für Gustav und Gertrud Brecher
Seit dem 16. Mai 2022 erinnern zwei Stolpersteine in der Parkstraße 2 – am Rande des agra-Parks – an das Schicksal von Getrud und Gustav Brecher, die unter dieser Adresse von 1928 bis 1933 lebten.
Zur Biographie:
Gustav Brecher wurde am 05.02.1879 im böhmischen Eichwald geboren. Er stammte aus einem musikinteressierten Elternhaus. Mit seinen jüdischen Eltern kam er 1889 nach Leipzig. Hier besuchte Gustav das Nikolai-Gymnasium und erhielt Musikunterricht. Bereits mit 18 Jahren dirigiert Gustav Brecher das Gewandhausorchester, nachdem Richard Strauss schon einige Tondichtungen von ihm aufgeführt hatte. Nach Beendigung der Schulzeit studiert er am Leipziger Konservatorium. Durch die Protektion von Richard Strauss und Gustav Mahler erhielt er nach 1900 Engagements an der Wiener Hofoper, dem Stadttheater Ölmütz (Mähren) und von 1903 bis 1912 als Kapellmeister am Stadttheater Hamburg. Es folgten Dirigate in Köln und Frankfurt/Main. Im Juli 1920 kam er nach berlin und arbeitete im Theater des Westens und als Gastdirigent der Berliner Philharmonie.
Gustav Brecher heiratete im Oktober 1920 Gertrud „Gerdi” Deutsch. Die Tochter von Felix Deutsch und seiner Ehefrau Elisabeth Franziska wurde am 27.09.1894 in Mannheim geboren. Sie war jüdischer Abstammung. Die Ehe blieb kinderlos. Gertruds Familie lebte in sehr vermögenden Verhältnissen. Der Vater Felix Deutsch war Mitbegründer und Direktor der Firma AEG. Die Mutter Elisabeth, genannt Lilli, führte in der Familienvilla in Berlin-Tiergarten einen Salon. Gertruds Bruder war der Betriebsleiter bei der Tonbild-Firma TOBIS. Gertrud Brecher hatte unter anderem Anteile bei dem berühmten Musikverlag Universaledition.
Nach Konzertreisen in Hamburg, Wien, Rom, Amsterdam, Prag und Moskau kam Gustav Brecher 1923 nach Leipzig zurück und wurde leitender Operndirektor am Neuen Theater. Im Januar 1925 folgte Gertrud Brecher ihrem Mann nach Leipzig. 1928 – im Jahr des Todes von Felix Deutsch – mieteten Gustav und Gertrud Brecher das Haus in der Parkstraße 2 in Oetzsch.
Gustav Brecher verhalf der Leipziger Oper durch neue Impulse und Perfektion zu einer höheren künstlerischen Qualität. Er machte das Haus von den 1920er Jahren an zu einer der progressivsten Opernbühnen Deutschlands. Ab 1923 gab Gustav Brecher zudem zahlreiche Sonderkonzerte für das Leipziger Arbeiterbildungsinstitut – oft an den Wochenenden.
Nach der Machtübergabe an die Nationalsozialisten erhielt Gustav Brecher Berufsverbot aufgrund seiner jüdischen Abstammung. Am 4. März 1933 dirigierte Brecher Richard Wagners „Meistersinger”. eine Woche später, am 11. März 1933, wurde er offiziell vom Leipziger Oberbürgermeister Carl Goerdeler entlassen. Sein Gehalt wurde minimiert. Nahezu vollkommen isoliert verließen die Brechers ihr Haus in Oetzsch und auch Leipzig.
Ein Engagement in Leningrad (Sowjetunion) Anfang 1934, um das dortige Rundfunk-Orchester zu leiten, war nur von kurzer Dauer. Zu groß waren die Sprachbarrieren, um seine musikalischen Vorstellungen vermitteln zu können. Gustav Brecher ging zurück nach Berlin. Die Eheleute wohnten in einer Villa in berlin-Dahlem, die Gertruds Mutter gehörte. Doch auch die jüdische Familie Deutsch wurde enteignet. Nach kurzen Engagements in Wien und Prag verließen Gertrud und Gustav Brecher Deutschland Anfang 1939 und gingen nach Brno in die Tschechoslowakei. Doch die Flucht nahm kein Ende. Im März 1939 wurde das Nachbarland annektiert. Anfang April 1939 flohen die Eheleute weiter nach Belgien, wo sie mit Getruds Mutter zusammentrafen. In Antwerpen warteten sie auf die Papiere für eine Schiffspassage nach Lissabon. Doch mit ihrem tschechoslowakischen Reisepässen wurde ihnen die Einreise nach Portugal verweigert, denn sie waren Bürger eines Staates, den es nicht mehr gab. Im Juni 1939 zogen alle drei nach Ostende. Die bürokratischen Hürden zur legalen Ausreise blieben unüberwindlich. Als Deutschland am 10. Mai 1940 in Belgien einmarschierte, schien die Aussicht auf Rettung und Flucht endgültig zunichte. Im Mai 1940 endete das Leben von Gustav Brecher im Alter von 61 Jahren und das seiner Ehefrau Gertrud Brecher mit 45 Jahren. Nach Auskunft von Bruno Walter, ehemaliger Gewandhaus-Kapellmeister, versuchte Brecher mit seiner Ehefrau und Schwiegermutter von Ostende aus im Fischerboot die Flucht nach England. Sicherlich waren sie auf dem Weg zu Gertruds Bruder, dem 1934 über die Schweiz die Emigration nach England gelungen war. Von dieser Reise kamen sie nicht zurück.
Quelle: Björn Eggert: Gustav Brecher – Stolpersteine in Hamburg.